Inklusion trifft Naturschutz: Freiwillige mit und ohne Behinderung befreien Rhöner Bergwiesen von Lupinen

Fünf Menschen mit Behinderung und zwei Assistentinnen verbrachten gemeinsam mit anderen Freiwilligen eine Woche im Biosphärenreservat Rhön und leisteten einen wichtigen Beitrag zum Natur- und Artenschutz vor Ort. Neben einer konkreten Verbesserung der ökologischen Situation ist die Sensibilisierung der Teilnehmenden für einen schonenden Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen über die Projektwoche hinaus Ziel des Einsatzes.

In der Rhön entwickelte sich aufgrund von jahrhundertelanger Nutzung eine vielfältige Kulturlandschaft mit Buchenwäldern, Hecken, Ackerland und artenreichen Wiesen in den Hochlagen. 1991 erkannte die UNESCO die Rhön als Biosphärenreservat an, um den Schutz, die Pflege und Entwicklung dieser außergewöhnlichen Mittelgebirgslandschaft zu sichern. Eines der wichtigsten Ziele dort ist die Erhaltung der Artenvielfalt. Das Bergwaldprojekt unterstützt das Biosphärenreservat daher seit Jahren u. a. bei der Bekämpfung der Lupine auf der Langen Rhön.

Die Tage fangen früh an für die Gruppe des Bergwaldprojektes. Um sechs Uhr morgens werden die Teilnehmenden sanft geweckt. Nach dem gemeinsamen Frühstück geht es an die Arbeit auf den Wiesen. Die Teilnehmenden stechen Lupinen. Dabei werden die Pflanzen samt Wurzeln aus dem Boden entfernt. Bleiben Wurzelteile zurück, war die Arbeit umsonst. Dort, wo die Lupinen schon überhandgenommen haben, müssen sie mit der Sense abgemäht und im Anschluss mit Rechen und Heugabeln auf einen Haufen gebracht werden, fertig für den Abtransport. Jeder packt dort mit an, wo Unterstützung gebraucht wird, egal, ob mit oder ohne Behinderung.

Die Lupine ist seit einigen Jahren in der Rhön auf dem Vormarsch. Der Neophyt mit den leuchtend lila Blüten bereichert das Landschaftsbild auf den ersten Blick. Doch für die Rhöner Bergwiesen und deren Artenvielfalt ist die Pflanze äußerst problematisch: Die Lupine verbreitet sich schnell und großflächig und nimmt anderen Pflanzen den Raum. Sie reichert Böden mit Stickstoff an, weshalb viele der seltenen, an magere Bergwiesen gebundene Pflanzen dort nicht mehr wachsen können. Darüber hinaus gefährdet die Lupine den Lebensraum für Bodenbrüter, indem sie deren Nester überwuchert und kaum Insekten als Nahrung der Vögel anlockt.

Den Teilnehmenden gefällt die körperliche Arbeit. „Ich mag es, mit der Sense zu arbeiten“, sagt Lena. „Da habe ich was Neues gelernt. Ich bin sogar über meine Grenzen hinausgewachsen und habe mich alleine getraut zu sensen.“ Auch Michael arbeitet am liebsten mit der Sense. „Da kann ich meine Power rauslassen“, erklärt er. Matthias hingegen recht lieber. Doch das ist das Schöne: Alle machen das, was sie gerne machen. Abends lässt die Gruppe den Tag bei einer Limo oder einem Feierabendbier Revue passieren. Doch meist dauert es nicht besonders lange, bis sich die Ersten von der Arbeit erschöpft in ihr Zelt zurückziehen.

An zwei Nachmittagen haben die Teilnehmenden frei. Bei einem Färbeworkshop werden Bilder mit Farben aus Pflanzen gemalt. An einem anderen Tag macht die Gruppe eine Führung durchs Schwarze Moor, wo das Bergwaldprojekt ebenfalls bei der Erhaltung unterstützt. Die Einsatzwochen werden stets von Bildungsarbeit begleitet und dadurch u. a. die durchgeführten Arbeiten in einen größeren Umwelt- und Nachhaltigkeitszusammenhang gesetzt. In jeder Bergwaldprojekt-Woche ist zudem eine Exkursion vorgesehen, bei der die vielfältigen Aspekte des Ökosystems vor Ort näher beleuchtet und seine Bedeutung und Bedrohung besser verständlich gemacht werden. Das konkrete Beispiel hilft dabei, die globalen ökologischen Krisen zu veranschaulichen.

Untergebracht sind die Helfenden für die Woche auf einem Zeltplatz. Ein Küchenteam des Bergwaldprojekts kümmert sich um die vegetarische, biologische und möglichst regionale und saisonale Verpflegung der Teilnehmenden. Anfangs ist der Verzicht auf Fleisch für manche ungewohnt. Aber schon am zweiten Tag sind sich alle einig: „Wir haben noch nie so gut gegessen wie hier!“

Am Ende der Woche fällt das Fazit der Teilnehmenden positiv aus. „Wir haben alle gut gearbeitet“, findet Bernhard. „Es ist ein tolles Gefühl zu sehen, was man gemeinsam geschafft hat“, stimmt Assistentin Annika zu. Besonders Lena hat die Woche in der Rhön zum Nachdenken angeregt: „Man muss halt sowas auch mal gemacht haben“, findet sie. Und: „Anscheinend ist [die Arbeit draußen] das, was ich schon immer gewollt habe.“ Wolfgang, Projektleiter des Bergwaldprojekts, ergänzt: „Indem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich für ihre Umgebung engagieren und über die konkrete Bedrohung erfahren, entwickeln sie oftmals auch neue Beziehungen zur Natur. Die freudvollen Erfahrungen aus den Projektwochen bestärken die Freiwilligen darin, auch den eigenen Alltag naturverträglicher und ressourcenschonender zu gestalten. Somit tragen sie zur dringend notwendigen sozial-ökologischen Transformation bei.“

Bergwaldprojekt e.V.

Das Bergwaldprojekt organisiert seit über 30 Jahren Freiwilligeneinsätze im Wald, Moor und in Offenlandschaften. Dieses Jahr wird der Verein mit seinen Einsatzwochen allein in Deutschland über 5.000 Freiwillige in die Natur bringen. 2024 finden 186 Projektwochen an 95 verschiedenen Standorten in ganz Deutschland statt, darunter auch einige integrative Projektwochen mit Menschen mit Behinderung. Ziele der Arbeitseinsätze sind, die Biodiversität und die vielfältigen Funktionen der Ökosysteme zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen, den Teilnehmer*innen die Bedeutung und die Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen bewusst zu machen und die Gesellschaft zu einem naturverträglichen und sozial gerechten Umgang mit den begrenzten natürlichen Ressourcen zu bewegen. Mehr Infos: www.bergwaldprojekt.de.

 

Text: Lena Gärtner (Bergwaldprojekt e.V.), Julia Wehrmann (Lebenshilfe Würzburg e.V.)
Fotos: Torsten Repper

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